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Vergriffen:
"Leonhard Widmer, P.A. Zwyssig und der Schweizerpsalm"
Jubiläumsschrift, 33 S., 34 Abb.

Leonhard Widmer wurde am 12. Juni 1808 auf dem Hof „Bünishofen” in Feldmeilen (Meilen) geboren. Den grössten Teil seines Lebens verbrachte Widmer in Zürich, wo er seine schulische Ausbildung und eine vierjährige kaufmännische Lehre (1823 – 1827) bei der Seidenwarenfabrik Heinrich Escher am Rindermarkt beim alten Kronentor absolvierte. Obwohl nur ein halbes Jahr bei der Leihbibliothek und Musikalienhandlung von Sängervater Hans Georg Nägeli tätig (1828), erhielt er Einblick in das damalige kompositorische und musikalische Schaffen, vor allem auf dem Gebiete des Volksgesanges. Die Jahre 1828 – 1833 verbrachte Widmer in Lausanne und vor allem in Morges, wo ein reiches Musikleben gepflegt wurde und das Gesangswesen grossen Aufschwung erlebte. Mit besten Französischkenntnissen ausgestattet kehrte er 1833 nach Zürich zurück, bewarb sich zunächst vergeblich um eine Lehrstelle für Kalligraphie und Französisch. Nach einer kurzen Tätigkeit beim Seidenhaus Salomon Pestalozzi im Haus zum „Steinbock” am Rindermarkt 17 war er von 1834 bis 1839 bei der Schulthessischen Buchdruckerei als Lithograph tätig. Die an den Zeltweg (Hottingen) verlegte Lithographieanstalt besass einen ausgezeichneten Ruf auf dem Gebiete der Künstlerlithographien. 1835 zog Widmer an die Stüssihofstatt 11, lernte dort Louise Huber kennen und heiratete sie 1837. Das junge Ehepaar bezog eine Wohnung am Mühlebach, in der Nähe der am Zeltweg gelegenen Lithographieanstalt der Schulthessischen Buchdruckerei. 1839 wurde Widmer Redaktor der neuen, wöchentlich erscheinenden freisinnigen Lokalzeitschrift „Das Neumünster – Blatt”, welches Anfang 1839 erstmals erschien. Widmers Stellungnahme zugunsten einer Berufung des deutschen Theologen David Friedrich Strauss kostete ihm die Stelle bei Schulthess. In dieser Situation griff ihm sein Freund vom „Unterhaltungszirkel zur Biene”, der Kaufmann Salomon Rütschi unter die Arme. Mit Rütschis finanzieller Hilfe konnte Widmer an der Marktgasse 10 (zum „Wilden Mann”) unter eigener Firma ein Lithographiegeschäft eröffnen. Das Geschäft lief drei Jahre lang recht gut. Ende September 1839 bezogen Louise und Leonhard Widmer eine neue Wohnung im Hause auf dem Münsterhof 5, ganz in der Nähe - nur durch die Rathausbrücke getrennt - seines Geschäftes.

Widmers Lithographiegeschäft an der Marktgasse 10 (Foto um 1910) erwarb sich durch die Herausgabe ungezählter volkstümlicher Musikalien einen angesehenen Namen. Zu Widmers Kunden zählte auch der Wettinger Kapellmeister Pater Alberik Zwyssig, der als 13-jähriger in die Klosterschule von Wettingen eingetreten war, 1827 die Ordensgelübde abgelegt und zugleich mit seiner Konsekration 1832 zum Kapellmeister ernannt wurde. Weltanschaulich weit auseinanderliegend, pflegten die beiden Männer trotz der politischen Stürme jener Jahre sehr freundschaftliche Beziehungen.

1841 setzte die ungerechtfertigte Aufhebung des Klosters Wettingen und die brutale Ausweisung der Mönche der Freundschaft ein vorläufiges jähes Ende. Zwyssig floh zu seinem Bruder nach Zug, wo er in dessen Hof St. Karl ein erstes Asyl fand.

1840 schrieb Widmer sein bedeutendstes Gedicht, den Schweizerpsalm. Ohne Widmers Wissen legten Freunde von der „Biene” dem in St. Karl bei Zug weilenden P. Alberik Zwyssig 1841 das Gedicht zur Vertonung vor:



1. Trittst im lichten Morgenrot daher,
Hocherhabener!
Und ich such in seinem Strahlenmeer
Dich, du Herrlicher!
Wenn die Firn sich rötet,
betet, Schweizer, betet!
Nahe, nahe ist euch Gott
in der Berge Morgenrot!
Ja, die fromme Seele ahnt
Gott im hehren Vaterland

2. Trittst im Abendglüh’n daher,
Ewig Liebender!
Und ich suche dich im Sternenheer,
Menschenfreundlicher!
In des Himmels Räumen
soll ich selig träumen,
träumen von der Gottheit Ruf,
die mich ewig frei erschuf.
Ja, die fromme Seele ahnt
Gott im hehren Vaterland!

3. Trittst im grauen Nebelmeer,
Gott, verhüllt daher!
Und ich suche Dich im Wolkenheer,
Unergründlicher!
Aus dem Luftgebilde tritt die Sonne milde.
Grüsset, grüssest froh das Licht,
das für euch durch Wolken bricht!
Ja, die fromme Seele ahnt
Gott im hehren Vaterland!

4. Trittst im wilden Sturm daher,
Starker Waltender!
Und ich suche bei Dir Hülf’ und Wehr,
Allerrettender!
Wenn es ringsum wittert,
Berg und Tal erzittert,
fass’ ich frohen, frischen Mut,
Gott, der Väter Gott, ist gut!
Ja, die fromme Seele ahnt
Gott im hehren Vaterland!
1. Trittst im Morgenrot daher,
seh’ ich dich im Strahlenmeer,
Dich, Du Hocherhabener! Herrlicher!
Wenn der Alpen Firn sich rötet,
betet, freie Schweizer! Betet!
Eure fromme Seele ahnt,
eure fromme Seele ahnt
Gott im hehren Vaterland,
Gott, den Herrn im hehren Vaterland.


2. Kommst im Abendglühn daher,
find’ ich dich im Sternenheer,
Dich, du Menschenfreundlicher, Liebender!
In des Himmels lichten Räumen
kann ich froh und selig träumen.
Denn die fromme Seele ahnt,
denn die fromme Seele ahnt
Gott im hehren Vaterland,
Gott, den Herrn im hehren Vaterland!


3. Ziehst im Nebelflor daher,
such'ich Dich im Wolkenmeer,
Dich, du Unergründlicher, Ewiger!
Aus dem grauen Luftgebilde
tritt die Sonne klar und milde,
und die fromme Seele ahnt,
und die fromme Seele ahnt
Gott im hehren Vaterland,
Gott, den Herrn, im hehren Vaterland.


4. Fährst im wilden Sturm daher,
bist du selbst uns Hort und Wehr!
Du allmächtig Waltender! Rettender!
In Gewitternacht und Grauen
lasst uns kindlich ihm vertrauen.
Ja, die fromme Seele ahnt,
ja die fromme Seele ahnt
Gott im hehren Vaterland,
Gott, den Herrn im hehren Vaterland!


Text des "Schweizerpsalms", links in der Originalversion, rechts in der von Zwyssig vertonten Fasssung (kursiv gedruckt „den Herrn”: heutige Fassung mit leichter ausführbarem Schluss)

Zwyssig vermochte sich der Kraft des von Religiosität und Patriotismus inspirierten Gedichtes nicht zu entziehen und erklärte sich zur Vertonung bereit. Bei den Zeilen „Ja, die fromme Seele ahnt” muss ihm sein Graduale „Diligam te Domine” in den Sinn gekommen sein. Metrisch entsprechen die beiden Stellen einander vollkommen – und auch inhaltlich: im Graduale ist es Gott, der Herr, den „ich herzlich liebe” und in Widmers Schweizerpsalm ist es die Ahnung Gottes „im hehren Vaterland”. Durch geschickte Kürzungen der Strophenanfänge und weiterer Zeilen gelang es Zwyssig, den Text so abzuändern, dass er sich dem vor sechs Jahren in Wettingen komponierten Graduale unterordnen liess, ohne dass die musikalische Substanz des „Diligam te Domine” darunter leiden musste. Freilich handelte Zwyssig nicht eigenmächtig. Die Zugeständnisse mussten Widmer in persönlichen Begegnungen und einem leider nicht mehr erhaltenen Briefwechsel abgerungen werden. Schliesslich ist es Widmers Grossherzigkeit zu verdanken, dass er den Abänderungsvorschlägen seines Freundes am Ende mit grosser Ueberzeugung zustimmte. Am 14. November 1841 wurde das Gemeinschaftswerk durch das "Bienenquartett", welchem Widmer als 2. Tenor angehörte in Zürich erstmals aufgeführt, eine Woche später, am Cäcilientag (22.11.) in Zug, wo es Zwyssig einstudiert hatte. Die beiden Männer blieben freundschaftlich verbunden und Zwyssig besuchte Widmer jährlich, vor allem von Wurmsbach aus, wo Zwyssig 1846 und dann ab 1848 weilte, bis er im Jahre 1854 im Kloster Mehrerau bei Bregenz Einzug halten konnte, wo er aber schon nach wenigen Wochen infolge einer Lungenentzündung verstarb.

Widmers weiterer Lebensweg setze sich 1842 mit dem Kauf einer neuen Wohnung mit Geschäftsräumen im Haus zur „Treu” an der Marktgasse 21 (auf Foto links Haus mit Erker) fort, wobei er grosse bauliche Veränderungen vornehmen musste. Sein Geschäft gelangte zu grosser Blüte, sodass er ausser dem Lehrling weitere Arbeiter beschäftigen konnte. Er beschränkte sich auf den lithographierten Notendruck und erreichte auf diesem Gebiete eine hohe Meisterschaft, auch in der Autographie von Handschriften („Faksimiles”) durch Steindruck, wozu ihn seine schöne Schrift besonders befähigte. Die Tätigkeit des Unterhaltungszirkels zur Biene förderte er durch kulturelle und unterhaltende Beiträge. Er sang im „Bienenquartett” (s.o.) und war Mitglied des Männerchors Harmonie. Er bemühte sich tatkräftig um die Verbreitung des Gesanges unter der Bevölkerung, gründete auch eine Sängervereinigung, bestehend aus verschiedenen Männerchören, zur Förderung des Volksliedes. Besonderen Eifer verwandte er auch auf die Publikation von Liedersammlungen. Vor allem sein „Album” fand grosse Verbreitung, wobei ihm die Umstellung auf das neue Druckverfahren einige Mühe kostete, vor allem aber grossen finanziellen Aufwand bedeutete.

Im April 1855 bezog Widmer im Predigerhof an der Chorgasse 20 ein neues Geschäft, das er mit grossem Aufwand umbaute. Das an den Seilergraben grenzende Haus beherbergt heute das Restaurant „Rechberg”.

1861 verkaufte Widmer sein Heimwesen im Predigerhof und richtete sich im April desselben Jahres an der Weiten Gasse 9 im Hause „St. Verena” ein, wo er seine Berufstätigkeit ganz auf die Herausgabe von Liedersammlungen beschränkte. Hier gab er fünf Hefte der Sammlung „Heitere Lieder” heraus.

1862 bezog Widmer das Haus zum „Schönen Grund” an der Winterthurerstrasse 59 in der Gemeinde Oberstrass. Hier verbrachte er die letzten Jahre seines Lebens. 1864 gab er seine berufliche Tätigkeit auf. Er wurde noch zum Schulgutsverwalter und Schulpfleger gewählt, ergriff die Initiative zur Gründung eines gemischten Chores und betätigte sich eifrig auf dem Gebiete des Gartenbaus, hielt auch eine eigene Kuh... Widmers Gastfreundschaft und Geselligkeit waren weithin bekannt und so liess er sich dazu drängen, in seinem Hause eine Gastwirtschaft zu betreiben – allerdings mit mässigem Erfolg.

Seit 1865 machten sich gesundheitliche Probleme bemerkbar und nach mehreren Schlaganfallattacken starb Widmer am 18. Mai 1868.


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